Hans Diefenbacher/ Benjamin Held/ Hannes Vetter

Sanktionen, so Ines-Jaqueline Werkner in ihrem Beitrag, haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Instrument der internationalen Politik im Bereich zwischen Diplomatie und militärischem Einsatz entwickelt. Auch im Krieg in der Ukraine spielen sie eine bedeutsame Rolle.

Die EU hat mittlerweile ein differenziertes System von insgesamt sechs Sanktionspaketen entwickelt, die über 80 Organisationen und mehr als 1.000 Einzelpersonen betreffen: So sind Reisen verboten und Vermögenswerte werden eingefroren, ebenso Exporte vieler Güter aus der EU, zum Beispiel von Gütern und Technologien, die in der Luft- und Raumfahrt verwendet werden; bestimmte Banken sind vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen; der Import vieler russischen Güter ist gestoppt, oder es bestehen zumindest weitreichende Pläne, sie möglichst rasch und dauerhaft zu beenden. Auch Russland hat seinerseits eine Reihe von Sanktionen getroffen, die sich vor allem gegen westliche Energiefirmen richten. Jedenfalls sind diese Sanktionen so wichtig, dass es angebracht erscheint, ihre Rolle und ihre Einbettung in die Ökonomie einmal näher zu betrachten. Was ist die Logik hinter diesem Instrument, und wie hat es sich entwickelt?

Zunächst einmal: Sanktionen als wirtschaftliches Druckmittel, als „normative Missbilligung des Fehlverhaltens eines Akteurs“ (Werkner), sind keineswegs neu. Bereits 433 v.Chr. verhängte Athen eine Handelssperre über Megara, einem Mitglied des Peloponnesischen Bundes, um deren Unterstützung von Sparta zu sanktionieren. In der Neuzeit wurden häufiger Wirtschaftsblockaden ganzer Regionen durchgeführt: so vom napoleonischen Frankreich gegen England, von England und Frankreich gegen die Niederlande 1832 oder im Ersten Weltkrieg durch die Alliierten. Aber auch die Vereinten Nationen haben mehrfach Waffenembargos oder Exportverbote für bestimmte Produkte für bestimmte Länder verhängt.

Wenn man als Wirtschaftssanktion alle Instrumente zusammenfasst, die von einem Staat ergriffen werden können, um das Verhalten anderer Staaten im wirtschaftlichen Bereich zu beeinflussen, wird deutlich, dass Wirtschaftssanktionen in mehrere Untergruppen differenziert werden können:

  • Handelssanktionen können nach Verboten von Importen und Exporten bestimmter Güter eingeteilt werden, dazu gehören Waffenembargos;
  • durch Finanzsanktionen können entweder Finanztransfers verhindert oder Auslandskonten bestimmter Wirtschaftssubjekte eingefroren werden;
  • mit Verkehrssanktionen kann entweder der Luft- oder Seeverkehr mit dem zu sanktionierenden Land insgesamt begrenzt oder verboten werden (zum Beispiel Verbot russischer Flugzeuge über deutschem Luftraum).
  • Angehörige bestimmter Nationen können nicht nur von wirtschaftlichen Aktivitäten, sondern auch von Teilnahme an der Arbeit internationaler Organisationen ausgeschlossen werden; ein Beispiel ist etwa die Suspendierung von Russland von der G-8-Staaten-Gemeinschaft im Jahre 2014.
  • Fraglich ist es, ob das Abbrechen von Kontakten in den Bereichen Kultur und Wissenschaft zu Wirtschaftssanktionen gerechnet werden kann. 

Um die Wirksamkeit von wirtschaftlichen Sanktionen einzuschätzen, muss eine im Grunde triviale Regel berücksichtigt werden: Sie wirken um so besser, je mehr der zu sanktionierende Staat und je weniger der Staat, der die Sanktionen verhängt, zuvor von den Außenverflechtungen abhängig waren, die jetzt wegfallen. Dabei können diese Wirkungen durchaus zwischen sanktioniertem und sanktionierendem Staat asymmetrisch verteilt sein, und natürlich versuchen die sanktionierenden Staaten die Sanktionen so zu wählen, dass die Wirkungen möglichst stark bei dem Land auftreten, das sanktioniert werden soll, und möglichst nur geringe Auswirkungen bei ihnen selbst zeitigen. Kriterien sind unter anderem der Marktanteil, der durch die Sanktionierung betroffen wird, der Grad und die Geschwindigkeit, mit der Alternativen realisiert werden können, und die relativen Preise, die durch die Sanktion verändert werden. Alle diese Kriterien müssen bei dem sanktionierten als auch beim sanktionierenden Land betrachtet werden. Dass indirekt durchaus auch unbeteiligte Länder betroffen sein können, etwa weil sich die weltwirtschaftlichen Verhältnisse durch die Sanktionen ändern (zum Beispiel höhere Weltmarktpreise für Energie und Lebensmittel), macht die Sache nicht unkomplizierter. 

Die Theorie der komparativen Kostenvorteile bestimmt traditionellerweise seit David Ricardo eine bestimmte, zu vielen Zeiten vorherrschende ökonomische Weltsicht und begründet theoretisch den Drang zu einer hoch komplexen, stark verflochtenen Weltwirtschaft. Globalisierung in dieser reinen Form mag in einer Welt funktionieren, die technisch reibungslos läuft und in der die ökonomische Denkweise den absoluten Vorrang hat. Aber schon die Corona-Krise und sogar die Havarie eines Frachters im Suez-Kanal haben gezeigt, wie schnell durch den Ausfall von Lieferketten das Gesamtsystem der Globalisierung verletzlich werden kann. Endgültig zum Glasperlenspiel wird diese Theorie der komparativen Kostenvorteile in einer Situation, in der sich Akteure aus normativen Gründen dafür entscheiden, andere Akteure zu sanktionieren. Insgesamt wurde in den letzten Jahren eine große Fragilität der Weltwirtschaft sichtbar. Das war zuvor schon durch andere, dichter werdende Krisen wie die Banken, Staatsschulden- und Wirtschaftskrise erkennbar geworden. Unternehmen treffen vor diesem Hintergrund zunehmend die Entscheidung, wieder teilweise nach Europa beziehungsweise in westliche Länder als Produktionsorte zurückzukehren: Es ist ökonomisch rational geworden, da immer deutlicher wurde, dass stark diversifizierte globale Lieferketten mit großen Kostenrisiken verbunden sind, die mit den – gegebenenfalls vermeintlichen – Kostenvorteilen neu abgewogen werden müssen.

Diese Zusammenhänge, die nicht als Folgen von Sanktionen entstehen, sind summa summarum triftige Gründe für eine Reduktion der globalen Verflechtung. Anzuraten wäre eine höhere Resilienz kleinerer Einheiten der Wirtschaft, die aber nur langfristig in Form eines gut vernetzten Systems einer lokalen und regionalen Ökonomie aufgebaut werden kann. Entwicklungsländern wird seit Ende des letzten Jahrhunderts „Importsubstitution und Exportdiversifizierung“ als eine Strategie empfohlen, die sie unabhängiger von volatilen Weltmärkten machen soll. Eine Schwerpunktsetzung auf die Entwicklung einer lokalen und regionalen Ökonomie würde eine neue Grundorientierung der Wirtschaft hervorbringen, in der das Instrument der Sanktionierung weniger bedeutsam wäre, weil weniger an wirtschaftlichen Aktionen wegfallen könnte – gleichzeitig würden aber auch das sanktionierende Land und neutrale Partner weniger geschädigt. Auf den aktuellen Krieg in der Ukraine bezogen, würde diese Grundorientierung bedeuten, dass Deutschland noch stärker auf Energieeinsparungen und den Ausbau erneuerbarer Energien setzen sollte, damit die starke einseitige Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern möglichst schnell abgebaut und nicht durch andere Abhängigkeiten ersetzt wird. Die Sanktionsdrohung Russlands, Deutschland und auch Europa insgesamt den Gas- und Ölhahn zuzudrehen, wäre bei frühzeitiger Befolgung dieses Ratschlags weniger wirkungsvoll gewesen. Und auch über den Krieg in der Ukraine und das Verhältnis zu Russland hinaus wäre eine Reduktion der Abhängigkeiten die logische Folge: insbesondere, aber nicht nur, beim Außenhandelsverhältnis zu China.

Es wäre vor diesem Hintergrund also im Prinzip sinnvoll, das Weltwirtschaftssystem so zu verändern, dass Sanktionen als wirtschaftspolitisches Instrument eine geringere Bedeutung erlangen. Dennoch bleibt bei diesem Ratschlag in der jetzigen Situation ein zwiespältiges Gefühl, denn wenn das Instrument der Wirtschaftssanktionen wegfallen oder wesentlich unwichtiger würde, könnte das die verheerende Folge haben, dass man sich in der Auseinandersetzung mit kriegerischen Regimes schneller zu militärischen Optionen bereitfinden könnte. Putin und Russland mit Hilfe wirtschaftlicher Sanktionen in Richtung Rückzug und Friedensverhandlungen zu „bewegen“, so unsicher dieser Wirkzusammenhang auch derzeit erscheint, würde dadurch noch unwahrscheinlicher.

Wichtig erscheint es in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung zwischen zwei zentralen, unterschiedlichen intendierten Wirkungen von Wirtschaftssanktionen: erstens der Funktion der Schwächung der sanktionierten Partei, zum Beispiel über eine Verringerung der Produktionskapazitäten oder eine Erhöhung der Unzufriedenheit im sanktionierten Land, und zweitens der Funktion der Anreizsetzung. Diese Funktion der Anreizsetzung funktioniert dabei natürlich nur, wenn die Möglichkeit der Aufhebung der Sanktionen und die Voraussetzungen dafür klar formuliert werden, was derzeit nur bedingt der Fall zu sein scheint.

Globalisierung und Wirtschaftssanktionen sind also zwiespältig zu betrachten. Aus Sicht Deutschlands scheint klar, dass die große Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern ein Fehler war, und mindestens an dieser Stelle eine größere Unabhängigkeit von einzelnen, insbesondere autokratischen und diktatorischen Akteuren, unbedingt angestrebt werden sollte. Damit würde Deutschland weniger anfällig für Wirtschaftssanktionen anderer Länder. Auf der anderen Seite ermöglichen wirtschaftliche Verflechtungen und darauf fußende Wirtschaftssanktionen Interventionsmöglichkeiten jenseits des Militärischen, wenn auch deren Wirksamkeit schwer zu beurteilen ist. Zudem sollten Strategien wie die „Annäherung durch Handel“ nicht komplett verworfen werden. Notwendig erscheint in jedem Fall ein neues Abwägen und Austarieren zwischen den verschiedenen Strategien und deren Vor- und Nachteilen, wobei vor den Ereignissen und Erkenntnissen aus den letzten Jahren eine größere Unabhängigkeit und – damit verbunden – eine Stärkung lokaler und regionaler Wertschöpfungsketten naheliegend scheint. 

*Dieser Text erscheint in: Werkner, Ines-Jacqueline et al. (Hrsg.): Krieg in der Ukraine. Hintergründe – Positionen – Reaktionen, Heidelberg: heiBOOKS, 2022 (FEST kompakt – Analysen – Stellungnahmen – Perspektiven , Band 4).