Special Issue: Der Krieg in der Ukraine – Positionen und Reaktionen jenseits der westlichen Welt
Folge 9: Moldau
Leona Rada*
Am 23. November 2022 wurden ukrainische Energiekraftwerke das Ziel russischer Raketenangriffe. Da die betroffenen Energiekraftwerke auch Gebiete von Moldau mitversorgen, versetzte der Angriff das Land zu weiten Teilen in Dunkelheit und führte der Bevölkerung deutlich vor Augen, wie nah ihnen der Krieg ist. Bei der Republik Moldau handelt es sich um ein zerrissenes Land, das zwischen Rumänien und der Ukraine liegt.
Es spaltet sich besonders durch den Streitpunkt pro-westliche und pro-russische Orientierung und seit Beginn des Ukrainekrieges haben sich die innenpolitischen Konflikte verschärft und die Spannungsfelder um ein Vielfaches erhöht. Deutlich zeigt sich die innere Spaltung des Landes in den Umfragewerten des IMAS-Institutes vom November 2022 bei der Frage, wer für den Ukrainekrieg verantwortlich ist: 42 Prozent sehen Wladimir Putin und die russische Föderation und 44 Prozent den Westen, die NATO und Wolodymyr Selenskyj als Hauptverantwortliche. Diese Zerrissenheit des Landes findet sich in allen Bereichen: in der Politik, in der Wirtschaft, innerhalb ethnischer Bevölkerungsgruppen und historisch gewachsener Zugehörigkeiten. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der moldauischen Unabhängigkeit 1991 befindet sich das Land in einer Dauerwirtschaftskrise. Die Bevölkerungszahl geht seitdem kontinuierlich zurück, weil gerade die jungen Bürgerinnen und Bürger angesichts der schlechten Wirtschaftslage auswandern. Während die Bevölkerung 1990 noch 4,48 Millionen umfasste, hat sie sich fast halbiert und liegt nach neuesten Schätzungen aktuell nur noch bei ca. 2,5 Millionen.
Im Dezember 2020 konnte die Gründerin der Partei der Aktion und Solidarität, Maia Sandu, die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden und sich gegen den bis dahin regierenden Präsidenten Igor Dodon durchsetzen, der eine pro-russische Politik vertrat und enge Beziehungen zu Moskau pflegte. Sandu strebt nun eine Annäherung an die EU an, versucht die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren und das Land aus der Wirtschaftskrise zu führen. Ihre Regierung stimmte der UN-Resolution zur Aggression gegen die Ukraine vom 2. März 2022 zu und positionierte sich damit gegen Putins Krieg. Auch am 23. Februar 2023 gehörte Moldau wieder zur Mehrheit der Länder, die der UN-Resolution mit der Forderung nach Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine zustimmen. Zudem haben die Kriegsereignisse den europäischen Annäherungsprozess beschleunigt; seit dem 24. Juni 2022 ist Moldau Beitrittskandidat der EU.
Die drastischen Konsequenzen des Ukrainekrieges für Moldau
In Moldau sind die Folgen des Krieges, wie eingangs dargestellt, deutlich zu spüren. Nach dem Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine machte sich in der moldauischen Bevölkerung die Angst breit, dass Moldau das nächste Angriffsziel Putins und genau wie die Ukraine mit Kriegshandlungen überzogen werden könne. Gleichzeitig hat das kleine Land im Verhältnis zur eigenen Bevölkerungszahl das weitaus größte Kontingent von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine aufgenommen. Seit Beginn des Krieges sind ca. eine halbe Million Flüchtlinge in das direkte Nachbarland der Ukraine angekommen, von denen sich heute noch ca. 80.000 im Land aufhalten. Für das ärmste Land Europas mit einem ohnehin schon sehr schwachen Sozialsystem ist das Ausmaß dieser Zuwanderung eine große Herausforderung. Von der EU erhält das Land deshalb finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Geflüchteten.
Der wichtigste wirtschaftliche Handelspartner ist mit knapp 50 Prozent die EU, doch auch Rumänien, Russland und die Ukraine sind bedeutende Partner im Außenhandel. Zudem ist Moldau vollständig von der Versorgung mit russischem Gas abhängig, weswegen die Beziehungen zu Moskau die moldauische Regierung oft zu Kompromissen zwingt. In den ersten sechs Monaten nach Ausbruch des Ukrainekrieges sind die Preise stetig gestiegen und haben zu einer Inflationsrate von 34,4 Prozent geführt. Die Unzufriedenheit und der Unmut in der Bevölkerung wachsen und das Misstrauen und die Skepsis gegenüber der amtierenden Präsidentin nehmen zu. IMAS-Umfragen von November 2022, die ohne die Befragung der transnistrischen Bevölkerung durchgeführt wurden, zeigen, dass fast die Hälfte der Moldauer und Moldauerinnen die aktuelle Regierung und damit auch Maia Sandu für die Inflation und die Energiekrise verantwortlich machen. Dagegen sieht nur ein Drittel der Befragten die Ursache im Ukrainekrieg.
Transnistrien: Der Staat im Staat
Die Republik Moldau verfolgte nach dem Zerfall der Sowjetunion eine streng nationalistische Politik. Dazu zählte auch der Beschluss, die bisherige russische Amtssprache durch die mehrheitlich gesprochene moldauische (rumänische) Sprache zu ersetzen. Dies führte zu zahlreichen Protesten im Land, denn in vielen Regionen spricht ein großer Teil der Bevölkerung russisch und sah sich durch den Beschluss in ihren Freiheiten und Rechten eingeschränkt. Dies führte in den Teilgebieten Gagausien im Süden und Transnistrien im Osten zu separatistischen Aufständen mit dem Ziel einer Abspaltung von Moldau. Mit Gagausien konnten die Konflikte 1994 vertraglich geklärt werden. Der Konflikt mit Transnistrien hingegen besteht seit 30 Jahren unvermindert fort. Im Jahr 1992 gab es militärische Auseinandersetzungen zwischen Moldau und Transnistrien mit mindestens 1.000 Todesopfern und über 4.500 Verletzten auf beiden Seiten. Am 25. Juli 1992 wurden die Kämpfe mit einem Waffenstillstand beendet; seitdem ist der Konflikt eingefroren. Transnistrien bezeichnet sich als unabhängige Republik, was jedoch von den Vereinten Nationen nicht anerkannt wird. Ungeachtet der vielen Vermittlungsversuche und Missionen – auch unter Einbeziehung der USA, Europas und Russlands – ist bislang keine Lösung in Sicht. Die Bevölkerungszahl in Transnistrien liegt bei gut einer halben Million Menschen und entspricht damit knapp einem Fünftel der moldauischen Bevölkerung. Obwohl es nur einen schmalen Landstreifen umfasst, ist seine Wirtschaftskraft stärker als im Rest des Landes. Während Moldau überwiegend ein Agrarland ist, verfügt Transnistrien über die noch aus sowjetischer Zeit stammenden Industrieanlagen und produziert Stahl, Elektronikteile wie Textilien. Eine Besonderheit ist die seit 30 Jahren andauernde Stationierung von 1.500 russischen Soldaten und Soldatinnen in Transnistrien sowie die Einrichtung eines der größten in Europa liegenden Militärwaffendepots aus sowjetischen Beständen in Cobasna. Mit Beginn des Ukrainekrieges wurde der transnistrische Abschnitt an der Grenze zwischen der Ukraine und Moldau geschlossen.
Moldau wurde in diesem Konflikt allein gelassen und die russische Politik der Einmischung in Transnistrien sowie der Einsatz russischer Armeekräfte zerbrach das Land in zwei Teile. Dieses Vorgehen ähnelt der russischen Strategie 2014 bei der Annexion der Krim in der Ukraine. Dort wurden ebenfalls die eher russisch geprägten Landesteile gezielt unterstützt und separatistische Bewegungen geschürt, um dann einen Vorwand zu haben, diese Landesteile „befreien“ zu müssen. Die Kriegsbedrohung und die blutigen Erfahrungen aus den Konflikten der Vergangenheit bestärken den Willen der moldauischen Regierung, einen drohenden Krieg unbedingt zu verhindern. Das ist auch der Grund, warum Chisinau der Stationierung von ukrainischen Truppen auf dem Territorium der Republik Moldau eine Absage erteilt. Diese gilt mit einer Einschränkung: Sollte Russland aus Transnistrien heraus einen Angriff auf die Ukraine starten, dann hätte die Ukraine auch ohne Zustimmung Moldaus das legitime Recht auf eine militärische Antwort.
Die Spannungen in Moldau nehmen zu: Was macht die Regierung?
Für Moldau und seine Sicherheit ist der Ukrainekrieg essenziell. Schon seit Beginn des Krieges fürchtet Moldau, dass es zu einem russischen Einmarsch kommt und dem Land das Gleiche bevorsteht wie der Ukraine. Die Angst ist geblieben, die Armut durch die wirtschaftlichen Probleme seit dem Krieg wächst und führt zu einer permanent steigenden Unzufriedenheit und Enttäuschung innerhalb der Bevölkerung. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Regierung ist nur noch bei wenigen vorhanden. Am 26. September 2022 nahm Sandu Stellung zur Verkündung Russlands über die Teilmobilmachung zum Einzug junger Männer in die russische Armee. Es bestehe die Gefahr einer Mobilisierung der moldauischen Bürger in den „östlichen Teilen des Landes“ – also Transnistrien. Männern mit russischer und moldauischer Staatangehörigkeit wird gedroht, die moldauische zu entziehen, wenn sie für den Aggressor Russland kämpfen. Seit vielen Monaten gibt es organisierte Proteste in der Hauptstadt Chisinau, die emotional und wutgeladen sind. Teilnehmende werden von der prorussischen Opposition bezahlt, in die Hauptstadt gefahren, in Zeltlagern untergebracht und versorgt, damit sie vor dem Regierungsgebäude ihre Kritik lautstark äußern. Erste Erfolgsergebnisse dieser Proteste zeigten sich Anfang des Jahres, als die Ministerpräsidentin Natalia Gavrilita am 10. Februar 2023 zurücktrat, weil sie sich nach eigener Aussage mit zu vielen Schwierigkeiten konfrontiert sah. Sandu warnt – nach entsprechenden Hinweisen des ukrainischen Geheimdienstes – vor einem Putsch gegen ihre Regierung. Der aus Moskau stammende Plan beinhalte, dass russische Saboteure in den künstlich geschürten Protesten der Opposition gewaltsam eingreifen mit dem klaren Ziel, die Regierung zu stürzen. Die Lage im Land bleibt fragil und die Frage, ob es der Regierung gelingt, den Protesten und dem wirtschaftlichen Druck seitens des Kremls standzuhalten, wird sich erst im Laufe der Zeit beantworten lassen.
*Die Autorin hat den Beitrag im Rahmen des Forschungspraktikums von PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner im WiSe 2022/23 an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. verfasst.