Special Issue: Der Krieg in der Ukraine – Positionen und Reaktionen jenseits der westlichen Welt

Folge 5: Ägypten

Gabriel Worms*

©Adrian Dascal, Kairo, Ägypten, 9. Juli 2019, https://unsplash.com/de/lizenz

Dieser Krieg muss beendet werden […] es ist nicht so, dass ich eine besondere Rolle in dieser Angelegenheit spielen möchte, aber ich bin, wie viele andere auch, bereit zu handeln, um das Ende dieses Krieges zu erreichen.

Abdel Fattah Al-Sisi, zit. nach Mona Abdou

Mit dieser Aussage machte der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi am 7. November 2022 auf der UN-Klimakonferenz im eigenen Land seinen Standpunkt zum Ukrainekrieg deutlich. Bereits einige Monate zuvor betonte er während eines Besuches des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Kairo die Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung im Ukrainekrieg und bot sich als Mediator an.

Zu Beginn des Ukrainekrieges stimmte Ägypten am 2. März 2022 für die Resolution ES-11/1 der UN-Generalversammlung und drückte damit seine direkte Ablehnung der russischen Invasion in die Ukraine aus. Auch ein Jahr nach Kriegsbeginn stimmte Ägypten am 23. Februar 2023 in der UN-Generalversammlung neben 140 weiteren Ländern für die Ukraine-Resolution. An Sanktionierungen gegen Russland beteiligt sich das Land allerdings nicht. Der dringende Wunsch nach der Beendigung des Krieges sowie die zurückhaltende Position Ägyptens zum Ukrainekrieg haben diverse Gründe, die insbesondere auf geopolitische und wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen sind.

Von einer politischen Krise in die Nächste

Ägypten gilt als das „Tor zu Afrika“, es hat sich als Nahost-Vermittler etabliert und ist nach Südafrika das am stärksten industrialisierte Land des Kontinents. Ägypten verzeichnet seit Jahren ein rasantes Bevölkerungswachstum mit gegenwärtig über 100 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und einem Durchschnittsalter von gerade einmal 24,6 Jahren. Rasant erscheinen auch die politischen Entwicklungen der letzten zwölf Jahre: Seit dem politischen Umbruch im Zuge des Arabischen Frühlings 2011, dem darauffolgenden Demokratieversuch und dem gewaltsamen Militärputsch unter Führung des damaligen Militärchefs und heutigen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi wird die Präsidialrepublik wieder autoritär und repressiv geführt. Das Regime hat jegliche Möglichkeit der Intervention und freien Meinungsäußerung der politischen Opposition und Zivilgesellschaft zunichtegemacht. Allerdings ist die Suche nach Stimmen aus der Bevölkerung zum russischen Angriffskrieg ohnehin vergeblich. Auch wenn vereinzelt Kritik am steigenden westlichen Einfluss in der arabischen Welt besteht, ist eine Mobilisierung durch den Krieg nicht zu erkennen. Im Vordergrund des Interesses der breiten Bevölkerung steht vielmehr die eigene wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit. Die kreditgestützte Misswirtschaft ging zulasten der Bevölkerung und auch die Folgen der Corona-Pandemie haben nicht nur Ägypten als Staat, sondern vor allem die armen Bevölkerungsschichten vor existenzielle Probleme gestellt. Durch die russische Invasion in der Ukraine steht Ägypten nun erneut vor großen Herausforderungen. Für deren Lösungen gerät Al-Sisi’s Regime immer weiter in einen Strudel internationaler Abhängigkeiten. 

Verheerende Folgen des Ukrainekrieges für Ägyptens Bevölkerung 

Aufgrund der geografischen Lage und der damit verbundenen Knappheit an fruchtbaren landwirtschaftlichen Flächen zählt Ägypten zu den größten Weizenimporteuren weltweit. Den Großteil der Weizenimporte, etwa 80 Prozent, bezog Ägypten aus Russland und der Ukraine. Durch den Krieg in der Ukraine bleibt nicht nur ein Großteil der Weizenlieferungen aus, er treibt auch die weltweiten Preise in die Höhe. Dies stürzte das Wüstenland in eine ernstzunehmende Nahrungsmittelkrise. Obwohl Ägypten zunächst auf Restbestände zurückgreifen und seine Getreidequellen diversifizieren konnte, führt die durch den anhaltenden Krieg bedingte Flucht ausländischen Kapitals zur Zahlungsunfähigkeit gegenüber den neuen Weizenexporteuren. Als Reaktion kündigte Ägypten an, durch die Vergrößerung der inländischen Anbauflächen und die Verwendung ertragreicherer Sorten die Selbstversorgung zu erhöhen. Offen bleibt allerdings, inwieweit diese Maßnahmen den enormen Bedarf an Weizen auch decken können

Für die Tourismusbranche, die Lebensgrundlage vieler Ägypterinnen und Ägypter, sorgten bereits die coronabedingten Reiserestriktionen und die durch die politische Instabilität des Landes verhängten Reisewarnungen in den vergangenen Jahren für einen starken Rückgang der Besucherzahlen. Durch den Krieg in der Ukraine leidet diese Branche erneut, da das Land der Pharaonen und Pyramiden besonders für die russische und ukrainische Bevölkerung ein beliebtes Reiseziel darstellte. Im Jahr 2021 machten russische und ukrainische Besucherinnen und Besucher fast ein Drittel der gesamten Touristenzahlen in Ägypten aus und trugen stark zur Erholung der Branche nach Corona bei. Seit Beginn des Krieges bleiben die Buchungen aus diesen Regionen zulasten der ägyptischen Wirtschaft und insbesondere des Dienstleistungssektors allerdings weitestgehend aus. Aus diesem Grund versucht Ägypten, den Tourismus aus Russland und der Ukraine trotz des Krieges aufrecht zu erhalten; im Gegensatz zu westlichen Airlines fliegen ägyptische Fluglinien weiterhin von und nach Russland. 

Des Weiteren droht Ägypten durch die russische Invasion in der Ukraine eine ernsthafte Währungskrise. Während der US-Dollar stark bleibt, schwächelt das ägyptische Pfund. Gepaart mit der relativ schwachen Wirtschaftsleistung, der steigenden Inflation sowie den schrumpfenden Devisenreserven sieht es für Ägypten wie für viele andere afrikanische Länder aktuell schlecht aus. Zudem leidet Ägypten als ein von Importen abhängiges Land immer mehr unter den hohen Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt. Prestigeprojekte wie der Bau der neuen Verwaltungshauptstadt sind auf ausländische Kapitalinvestitionen sowie dem ägyptischen Staatsbudget angewiesen und versprechen keine Verbesserung der Situation, sondern stürzen das Land zum Leidwesen breiter Bevölkerungskreise immer tiefer ins Defizit. Seit Jahren steigt die Armutsrate in Ägypten kontinuierlich an und erreicht inzwischen schon die breite Mittelschicht. Laut der Weltbank leben mittlerweile 60 Prozent der Gesamtbevölkerung am Rande der Armutsgrenze.

Wirtschaftliche Interessen im Vordergrund – Ägypten und seine Beziehungen zur Ukraine und zu Russland 

Zwischen Präsident Al-Sisi und Wolodymyr Selenskyj herrscht seit einem Jahr offiziell Funkstille. Dabei sondierten noch kurz vor Kriegsausbruch beide Präsidenten über zukünftige gemeinsame Projekte im Bereich der Wirtschaft und der Wissenschaft. Auch das Potenzial einer Zusammenarbeit im technisch-militärischen Bereich wurde hierbei thematisiert. Zwar laufen gegenwärtig die bilateralen Wirtschaftskooperationen beider Länder im Rahmen des Möglichen weiter, Ägypten weigert sich allerdings, dem offiziellen Gesuch der Ukraine, Waffen, Verteidigungsausrüstung, Munition und Treibstoff in das Kriegsgebiet zu liefern sowie nach finanzieller Unterstützung, nachkommen.. 

Während sich Ägypten im Rahmen der UN-Resolutionen gegen Putins Angriffskrieg gestellt hat, setzt Al-Sisi realpolitisch weiterhin auf den Ausbau der bilateralen Kooperationen mit Russland und zieht Sanktionen gegen den Aggressor aus dem Kreml nicht in Erwägung. Erst im November 2022 startete der Bau eines Atomkraftwerks der russischen Atombehörde Rosatom im ägyptischen El-Dabaa. Die Kosten des 30 Milliarden US-Dollar teuren Großprojektes werden zu 85 Prozent durch einen russischen Staatskredit finanziert. Eine weitere strategische Kooperation stellen die Geschäfte im Bereich der Rüstungsindustrie zwischen den beiden Autokratien dar. So ist über die letzten Jahre eine deutliche Zunahme der Waffengeschäfte mit Russland erkennbar. Zeitweise kamen über 40 Prozent der ägyptischen Waffenimporte aus Russland und machten Putin zum größten Waffenlieferanten Ägyptens. Neben der Ablehnung westlicher Werte sowie einem repressiven Regierungsstil einigt Putin und Al-Sisi auch die immer stärker werdenden bilateralen Beziehungen zwischen ihren Staaten. Seit der Machtübernahme Al-Sisi’s sind die Beziehungen zu Russland so gut wie nie zuvor. Dennoch sucht der ägyptische Präsident auch weiterhin die Nähe zum Westen und nutzte im November 2022 dafür auch die UN-Klimakonferenz im eigenen Land als Bühne. Wie passt das zusammen?

Eine unverzichtbare Partnerschaft – Ägypten und der Westen

Nicht nur Russland kooperiert mit dem ägyptischen Militär. Auch der Westen, allen voran die USA, unterstützen Ägyptens Streitkräfte finanziell schon seit Jahren. Seit 1987 gehört Ägypten zu den wichtigsten Nicht-NATO-Verbündeten der USA und erhält dementsprechend jährliche Militärhilfen in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Nach dem Umsturz in Ägypten 2013 wurden diese zwar zeitweise eingestellt und erst im Folgejahr wieder aufgenommen, dennoch bleiben die USA der wichtigste Garant für die Sicherheit Ägyptens. Dies liegt zum einen daran, dass die strategische Partnerschaft – gerade mit Hinblick auf militärische Kooperationen – für beide Länder von Vorteil ist und die USA ihren Einfluss im wirtschaftlichen und militärischen Knotenpunkt Afrikas beibehalten wollen. Zum anderen wird Russland die militärische Unterstützung der USA für Ägypten zum jetzigen Zeitpunkt, aber auch in naher Zukunft nicht ersetzen können. Obwohl die Waffenkäufe aus Russland in den vergangenen Jahren gestiegen sind, bieten die USA dem ägyptischen Militär gegenüber Russland einen entscheidenden Vorteil: die Mitfinanzierung des Militärs und dessen Ausgaben. 

Obwohl die USA immer wieder Kritik an der Menschenrechtslage sowie der Pressefreiheit in Ägypten üben und teilweise auch kleinere Sanktionen durchsetzen, werden sie die militärischen Beziehungen zu Ägypten wohl kaum aufgeben – zu wichtig erscheint die strategische Lage Ägyptens für die USA. Die steigenden Rüstungsgeschäfte mit europäischen Ländern wie Italien oder Frankreich sind ebenfalls nicht zu vernachlässigen und versorgen Ägypten vermehrt mit Waffen, Überwachungseinrichtungen und auch Instrumenten zur Kontrolle von Menschenmengen. Insbesondere der modernen Überwachungs- und Kontrolltechnik kommt für den Machterhalt und die strikte Strafverfolgung im Land eine wichtige Rolle zu. Für die europäischen Waffenexporteure scheint dies aufgrund der Zahlungen in Milliardenhöhe jedoch kein Hindernis zu sein. 

*Der Autor hat den Beitrag im Rahmen des Forschungspraktikums von PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner im WiSe 2022/23 an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. verfasst.